GARE DU NORD
«50 Years Hat Hut Records»
Das Simon Lucaciu Trio (SLT) war Gewinner des Jazznachwuchspreises (2023). Das Trio, bestehend aus Simon Lucaciu (piano), Florian Müller (double bass) und Lukas Heckers (drums), arbeitet seit acht Jahren kontinuierlich an der Betrachtung von Improvisation und Komposition im Rahmen eines Klaviertrios. Die Band gründete sich 2016 in Plauen und gewann bereits im folgenden Jahr einen Bundespreis bei «Jugend Jazzt». Im Herbst 2018 zogen die drei Musiker nach Leipzig und begannen ihr Jazzstudium an der HMT Leipzig, Förderer des Trios war u.a. Prof. Michael Wollny. Seitdem hat sich das Trio durch unterschiedliche Abschnitte der Zusammenarbeit bewegt und seinen eigenen Stil, Klang und künstlerische Identität gefunden. 2023 veröffentlichten sie ihr Debütalbum «STRG + X». Das Hat Hut Label hat das Trio international bekannt gemacht.
Marco von Orelli studierte zunächst klassische Musik mit Schwerpunktfach Jazz in Winterthur und Zürich. Später absolvierte er im 1. Jahrgang den Master-Studiengang in Improvisation an der Musikhochschule Basel. Von Orelli gab und gibt Konzerte mit Formationen und Orchestern unterschiedlicher Stilrichtungen. 2012 veröffentlichte das Label Hat Hut Records von Orellis vielbeachtete Debüt-Aufnahme als Bandleader unter Marco von Orelli 6 «Close Ties On Hidden Lanes» in der hatOLOGY Serie. In seiner künstlerischen Arbeit bewegt sich Marco von Orelli im Feld der avancierten Strömungen der Improvisations- und Jazzmusik.
«Wir suchen eine rohe und archaische Musik», sagt Trompeter Marco von Orelli. «Nichts Gekünsteltes, sondern ehrlich und mit einer Prise Einfachheit versehen». Der Klang seines Instruments ist tatsächlich offen, klar und warm. Meistens. Manchmal kippt er vom Klang ins Geräusch, im Keller mit tiefen Undergrowls, oder, am andern Ende der Skala, mit stratosphärischem Gezwitscher. Namentlich die tiefen Lagen von Orellis erinnern mich an ein Zitat von Don Ellis, dem Avantgardisten unter den Trompetern vergangener Jahre. Zur Verblüffung seiner Fans nannte der in den Sechzigern einmal Henry ‘Red’ Allen, den New Orleans-Altmeister (Jahrgang 1908!) «the most far out trumpet player in town». Nun meint von Orelli mit roher Archaik gewiss etwas anderes als New Orleans Jazz, und seine Emphase ist gewiss eine andere als die des alten Jazz. Sein Klang wirkt, von den genannten Extremlagen abgesehen, direkt wie «no jokes», aber die Geschichten die er damit erzählt sprühen vor Witz und sind mitreissend in ihrer meist gebrochenen Rhythmik.
Mehr als eine Prise Einfachheit macht den Klang dieses Quartetts überhaupt aus. Die Band mit von Orellis kongenialem Partner Tommy Meier an Tenorsax und Bassklarinette, Luca Sisera am Kontrabass und Sheldon Suter am Schlagzeug ist ein auf Dauer hin angelegtes Projekt. Sie publizierte 2019 ihren Erstling und nennt sich, zutreffend, aber nicht ohne Paradoxie, «Lotus Crash». Kein Piano, kein Gitarre, eine Besetzung wie die des legendären Quartetts von Ornette Coleman mit Don Cherry Ende der Fünfziger («The Shape of Jazz to Come»). Ähnlich im Konzept, wenn auch keineswegs epigonal imitiert sind die liedhaften, auf eigene Weise «harmolodischen» Kompositionen von Meier und von Orelli, alle darauf angelegt, im weiteren Verlauf improvisatorisch erweitert zu werden. Das Interplay zwischen den beiden Bläsern ist mal tänzerisch ausgelassen, mal eher verhalten; mal ist es in labyrinthischen Linien verschlungen, mal ganz solistisch aus- und gegeneinandergesetzt, mal in magischem Einklang unisono zusammengeführt - alles auf der Basis und unter Beteiligung des sonor singenden Basses von Sisera und der inspirierenden Perkussion von Suter. Eine ungemein offene, ebenso überraschende wie einleuchtende Musik. Für den Hörer immer wieder neu zu entdecken.